Ike Koenig Fotografie

Ausstellung 11.05. - 23.06.2018 "Kann Spuren von Licht enthalten"

Vorwort von Dr. Tobias Wall
zum anlässlich der Ausstellung erschienenen Katalog.

„Man muss sich beeilen, wenn man etwas sehen will, alles verschwindet.“
Paul Cézanne


Diesen berühmten Satz formulierte Paul Cezanne vor etwas mehr als hundert Jahren. Und er gilt heute mehr denn je. Und das in einer Zeit, in der es unendlich viel zu sehen gibt: eine nie gekannte Bilderflut überschwemmt unsere Wahrnehmung und unser Bewusstsein. Der Grund: die digitale Fotografie führt zu buchstäblich unfassbaren Abbildungsexzessen. Ein paar Zahlen: Seit 2010 wurden allein über das Bildernnetzwerk Instagram 40 Milliarden Fotos gepostet, heute sind es über 80 Millionen tagtäglich. Die große Frage aber ist: sehen wir in dieser Bildermasse auch wirklich mehr von unserer Wirklichkeit?

Wie Cezanne könnte man eher den Eindruck haben, dass die Welt mit ihren Schönheiten gerade im Trubel ihrer Abbildungen unterzugehen droht. Wir sehen immer weniger obwohl wir immer mehr Bilder haben. Dies könnte daran liegen, dass die digitale Bilderflut weitgehend aus Snap-Shots besteht, aus Abschüssen, bei denen sorglos, d.h. ohne Sorgfalt ohne Umsicht einfach abgedrückt, der Wirklichkeit ihr Abbild abgenommen wird. Solche Abschüsse entdecken mit ihren Bildern nicht die Wirklichkeit, in ihrer unendlichen Menge verdecken sie diese vielmehr. Gute Bilder, Bilder die die Welt entdecken, entstehen nicht aus dem Schießen und der Wegnahme sondern aus dem Schauen und aus der Hingabe.
In diesem Sinne gute Bilder entstehen in der Kunst, in der künstlerischen Fotografie. Und genau aus diesem Grund ist die Fotokunst, sind die Fotokünstlerinnen und -künstler heute wichtiger denn je.

„The world is full of things the eyes can’t see“
Andreas Feininger


Der vorliegende Band versammelt Fotografien von Künstlerinnen und Künstlern, deren Werk jeweils von dieser Hingabe geprägt ist. Alle verstehen ihre Fotografie als Entdeckungsarbeit, als Expedition in die Wirklichkeit. Es ist eine lose Gruppierung Stuttgarter Fotografinnen und Fotografen, die allesamt aus der Schule des Fotografen Volker Schöbel hervorgegangen sind. „Er ist der Planet, um den wir alle kreisen.“ Doch so wichtig Volker Schöbel für die Entwicklung der einzelnen Positionen als Lehrer auch war, bei seiner Ausbildung gab es nur ein einziges verbindendes Prinzip: die Freiheit, die Offenheit im Umgang mit Technik und Themen und der Mut zum Experiment. Auf diesem Wege entwickelte jede Fotografin und jeder Fotograf eine ganz eigenständige fotografische Sichtweise, die sich zum Teil deutlich von den Ansätzen des Lehrers entfernte.

„Kann Spuren von Licht enthalten“. Die Weite dieses Titels zeigt, dass es den Fotografinnen und Fotografen nicht um ein einheitliches inhaltliches oder formales Konzept geht. Im Gegenteil, eine erstaunliche Bandbreite an konzeptuellen und ästhetischen Ansätzen sind hier versammelt:
Verstörend, verführend schöne Naturdetails von Nicole Kather, Pflanzenbilder von Ulrike König, die eine eigentümliche morbide Pracht entfalten, faszinierende Oberflächenstudien von Heinz-Peter Ohm, auf denen sich Metallflächen in schillernde Landschaften verwandeln. Völlig anders dagegen Yvonne Rudischs poppige Fotokollagen, in denen sie mit Bild, Nadel und Faden hintergründige Gesellschaftskritik übt, Paulo dos Santos hingegen lenkt unseren Blick in seinen bewegenden Bildern auf zerstörte, schwarz verbrannte Erde, während die vielschichtigen Fotoexperimente von Volker Schöbel die Grenzen von Fotografie und Malerei buchstäblich verschwimmen lassen.

Gerade die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der einzelnen Positionen sind zentral für das Selbstverständnis der Gruppe. Der vorliegende Katalog und die dazugehörige Ausstellung sind Ausdruck ihres Anliegens, ihre sehr unterschiedlichen Sichtweisen auf die Wirklichkeit an einem Ort zusammenzubringen, ihnen die Möglichkeiten eines unmittelbaren Austausches im Raum zu geben. Auf diese Weise möchten sie gemeinsam ein fotografisches Tableau ausbreiten, das auch für sie selbst neue Wahrnehmungsmöglichkeiten und visuelle Erkenntnisdimensionen eröffnet. Das Ziel ist es, mit ihrer gemeinsamen Fotoausstellung die Welt für sich und für uns Betrachter zu entdecken, das sichtbar zu machen, was dem Auge eigentlich verborgen ist. Auf diese Weise sorgen sie mit ihren Bildern dafür, dass eben nicht, wie es Cézanne prophezeit hat, die Wirklichkeit in der Flut der Bilder verschwindet, sondern dass sie in ihrer ungekannten Schönheit entdeckt und gefeiert wird. Fotografie als Entdeckung.